Abrechnungsbetrug

Abrechnungsbetrug im Arztstrafrecht


Der Vorwurf des angeblichen Abrechnungsbetrugs ist in der Praxis des Strafrechts von großer Bedeutung. Die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen Betrugs nach § 263 StGB (Strafgesetzbuch) sind keine Seltenheit und für die betroffenen Ärzte regelmäßig eine enorme Belastung. Gerade im Arztstrafrecht zeigt die Erfahrung, dass die frühzeitige Beratung und Erarbeitung einer fundierten Verteidigungsstrategie sinnvoll ist, auch um drohende Reputationsverluste so weit wie möglich abzuwenden. Grundsätzlich gilt, dass vor Einsicht in die Ermittlungsakte keine Einlassung zur Sache abgegeben werden sollte. Andernfalls ist die Gefahr einer Selbstbelastung oder möglicher Widersprüche mit den Ermittlungsergebnissen erheblich. Unbedachte Äußerungen gegenüber den Ermittlungsbehörden sind deshalb unbedingt zu vermeiden.
Zunächst ist hier zu unterscheiden, ob ein vertragsärztlicher oder ein privatärztlicher Abrechnungsbetrug im Raum steht.

Vorwürfe beim vertragsärztlichen Abrechnungsbetrug

Vertragsärzte sehen sich unterschiedlichen Vorwürfen des angeblichen Abrechnungsbetrugs ausgesetzt:
  • Abrechnung nicht vollständig bzw. nicht erbrachter Leistungen (Luftleistungen)
  • Leistungssplitting
    Ermittelt wird hier wegen der Nichteinhaltung von Leistungsausschlüssen oder der Überschreitung von Höchstbetragsregelungen nach dem EBM durch Aufspalten einheitlich erbrachter Leistungen in mehrere selbständige Leistungen (z.B. durch Vor- bzw. Rückdatierung von Leistungen oder Verteilung der Leistung auf mehrere Personen).
  • Falschdeklaration einer Leistung
    Hier wird dem Arzt vorgeworfen, zwar eine Leistung erbracht zu haben, aber eine andere, höher bewertete Leistung abgerechnet zu haben (z.B. die Abrechnung anderer EBM-Positionen).
  • Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen
    Für den Vertragsarzt gilt das sog. „Gebot der persönlichen Leistungserbringung“. Handelt es sich um eine delegierbare Leistung, dann kann der Arzt diese allerdings als persönlich erbrachte Leistung abrechnen, auch wenn er die Leistung nicht selbst erbracht hat. Erbringt der Arzt jedoch eine Leistung nicht persönlich, sondern lässt er die Leistung durch einen anderen (z.B. nichtärztliches Personal) erbringen, obwohl diese Leistung nicht oder zumindest nicht auf diese Weise delegiert werden durfte, dann ist die Abrechnung der Leistung falsch. Das gilt auch bei einer lege artis erbrachten Behandlungsleistung. Das „Gebot der persönlichen Leistungserbringung“ gilt auch für Vertragsärzte in einem MVZ (Medizinischen Versorgungszentrum).
    Nach § 15 Abs. 1 S. 2 BMV-Ä (Bundesmantelvertrag-Ärzte) sind persönliche Leistungen auch ärztliche Leistungen durch genehmigte Assistenten und angestellte Ärzte gemäß § 32b Ärzte-ZV (Zulassungsverordnung für Vertragsärzte), soweit sie dem Praxisinhaber als Eigenleistung zugerechnet werden können.
    Ärzte, die in einem Krankenhaus tätig sind, und vom Zulassungsausschuss zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten ermächtigen sind (§ 31a Abs. 1 Nr. 1 Ärtze-ZV), können hingegen Behandlungsleistungen nicht an genehmigte Assistenten und angestellte Ärzte delegieren, ohne dass sie ihren Honoraranspruch einbüßen.
    Eine Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung ist die Leistungserbringungs-gemeinschaft bei gerätebezogenen Untersuchungsleistungen (§ 15 Abs. 3 BMV-Ä), wenn sich also Ärzte zur gemeinsamen Nutzung von medizinisch-technischen Einrichtungen und Geräten zusammenschließen. Gerätebezogene Untersuchungsleistungen können nach fachlicher Weisung durch einen der beteiligten Ärzte persönlich in seiner Praxis oder in einer gemeinsamen Einrichtung durch einen gemeinschaftlich beschäftigten angestellten Arzt nach § 32b Ärzte-ZV erbracht und von dem anweisenden Arzt als persönliche Leistung bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgerechnet werden. Gemäß § 15 Abs. 4 BMV-Ä sind  Laboratoriumsleistungen (Basisuntersuchungen) des Abschnitts 32.2 des EBM bei Erbringung in der Laborgemeinschaft aber nicht als persönliche Leistung des Vertragsarztes abrechnungsfähig. Hier muss die Laborgemeinschaft ihre Leistungen direkt gegenüber der regional zuständigen KV abrechnen („Gebot der Direktabrechnung", vgl. Bundessozialgericht, Urteil v. 08.08.2018, B 6 KA 24/17 R).
  • Abrechnung unwirtschaftlicher Leistungen
    Leistungen sind nur abrechnungsfähig, wenn sie dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V entsprechen. Nach § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Ob es sich um eine wirtschaftliche Leistung des Vertragsarztes handelt, ist grundsätzlich abhängig vom Einzelfall. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begeht z.B. der Vertragsarzt bei der Verordnung von Heilmitteln ohne jede medizinische Indikation eine Untreue gemäß § 266 StGB (BGH, Beschluss v. 16.08.2016 – 4 StR 163/16).
  • Abrechnung ohne Berücksichtigung von Zuwendungen
    Erhält der Arzt für die Bestellung medizinischen Materials von Dritten (etwa der Herstellerfirma) Zuwendungen (bspw. Rabatte, Rückvergütungen „Kick-Back-Zahlungen", Boni), dann muss er dies bei der Abrechnung mitteilen. Bei der Prüfung einer möglichen Strafbarkeit ist danach zu unterscheiden, ob es sich bei dem bestellten Material um Praxisbedarf oder Sprechstundenbedarf handelt.
  • Abrechnung unter Verstoß gegen vertragsärztliche Vorschriften
    Eine Abrechnung kann auch falsch sein, wenn gegen vertragsärztliche Vorschriften verstoßen wurde. Das kann z.B. der Fall sein, wenn dem abrechnenden Vertragsarzt die Voraussetzungen zur Vertragsarztzulassung eigentlich fehlen, wenn dem Arzt die Zulassung als Vertragsarzt fehlt und er seine erbrachten Leistungen deshalb über einen „Strohmann“ abrechnet, oder wenn Laborärzte ihre tatsächlich erbrachten und an sich abrechnungsfähigen laborärztlichen Leistungen gegenüber den jeweils regional zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnen, obwohl sie ihre ärztlichen Leistungen nicht gemäß § 32 Abs. 1 S.1 Ärzte-ZV „in freier Praxis“ erbracht haben.


Vorwürfe beim privatärztlichen Abrechnungsbetrug

Auch Privatärzte sehen sich unterschiedlichen Vorwürfen des angeblichen Abrechnungsbetrugs ausgesetzt:
  • Abrechnung nicht vollständig bzw. nicht erbrachter Leistungen (Luftleistungen)
  • Leistungssplitting
    Aufspalten einheitlich erbrachter Leistungen in mehrere selbständige Leistungen (z.B. durch Vor- bzw. Rückdatierung von Leistungen)
  • Falschdeklaration einer Leistung
    Hier wird dem Arzt vorgeworfen, zwar eine Leistung erbracht zu haben, aber eine andere, höher dotierte Leistung abgerechnet zu haben.
  • Falschabrechnung von Analogieleistungen nach § 6 Abs. 2 GOÄ
    z.B. bei Abrechnung einer falschen Analogieziffer
  • Überschreitung des Gebührenrahmens nach § 5 Abs. 1 S. 1 GOÄ
  • Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen nach § 4 Abs. 2 GOÄ
    Relevant sind nach § 4 Abs. 2 GOÄ insbesondere die falsche Abrechnung von Laborleistungen, die nicht in den Praxisräumen des abrechnenden Arztes erbracht werden (Basislaborleistungen und Speziallaborleistungen) und die falsche Abrechnung von Wahlarztleistungen. Problematisch ist die Wahlarztleistung, wenn die Behandlungsleistung nicht vom Wahlarzt erbracht wird, dieser aber abrechnet. Die Frage zulässiger Delegation stellt sich hier. Das gilt sowohl für den stationären Krankenhausaufenthalt als auch für die Chefarztambulanz.
  • Abrechnung unwirtschaftlicher Leistungen
    Auch wenn im privatärtztlichen Bereich das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V nicht gilt, hat der Privatarzt wirtschaftlich zu handeln. Bei der Frage, wann eine Leistung wirtschaftlich ist, kommt ihm aber ein weiter Ermessensspielraum zu, solange die Leistung noch vertretbar erscheint. Leistungen ohne medizinische Indikation gelten jedoch als nicht abrechenbar.
  • Abrechnung ohne Berücksichtigung von Zuwendungen
    Fraglich ist vor dem Hintergrund des § 10 Abs. 1 GOÄ, ob Zuwendungen (Rabatte, Rückvergütungen „Kick-Back-Zahlungen", Boni) in der Abrechnung anzugeben sind.

Vorwurf des Abrechnungsbetrugs bei Krankenhausleistungen

Seit geraumer Zeit ermitteln die Strafverfolgungsbehörden verstärkt auch wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetrugs gegenüber Krankenhäusern. Beim sog. „Upcoding“ im Krankenhaus werden Leistungen höher kodiert, wodurch dann eine höhere Vergütung bewirkt wird. Ob ein „Upcoding“ tatsächlich ein strafbarer Abrechnungsbetrug sein kann, ist in jedem Einzelfall streng zu prüfen, denn über die Auslegung einzelner Schlüssel herrscht zwischen den Krankenhäusern und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), der im Auftrag der Krankenkassen die Abrechnungen nach den §§ 275 ff. SGB V überprüft, oftmals Unstimmigkeit.

Verantwortlichkeit bei Organisationseinheiten

Bei Organisationseinheiten stellt sich regelmäßig die Frage, wer beim Vorwurf der Falschabrechnung ins Visier der Ermittlungsbehörden gerät.
Bei Krankenhäusern ist dies stets vom Einzelfall abhängig. In Betracht kommen Ärzte, mit der Rechnungsstellung beauftragten Angestellte oder auch die Geschäftsführung. Die Erfahrung zeigt, dass die Verantwortungsheranziehung des Systemverantwortlichen (Krankenhausleitung) jedenfalls bei komplexen Organisationsstrukturen im Trend zu liegen scheint.
Bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) wird die Verantwortlichkeit für falsche Abrechnungen nach der Rechtsprechung grundsätzlich dem Leiter des Zentrums zugewiesen.
Bei einer Gemeinschaftspraxis trägt der einzelne Vertragsarzt grundsätzlich auch die Verantwortung für die Richtigkeit seiner Abrechnungen und zwar auch dann, wenn die Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft die Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen auf eines ihrer Mitglieder übertragen haben (Bundessozialgericht, Beschluss v. 28. 09.2016 – B 6 KA 14/16 B).
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Rechtsanwältin Dr. Meller ist Mitverfasserin der „Rechtsprechungsübersicht zum Arztstrafrecht", die in der juristischen Fachzeitschrift NStZ (Neue Zeitschrift für Strafrecht) beim C.H. Beck Verlag München erscheint, zuletzt erschienen in: NStZ 2018, 640 ff.

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